Herbert J. Freudenberger – Burnut als Selbsterkenntnis
Im Jahr 1974 wurde der Begriff Burnout von Freudenberger in seiner Arbeit über Staff Burn-Out erstmals im heutigen Sinn verwendet. Er war 1926 in Frankfurt am Main geboren worden und als Zwölfjähriger allein nach Amerika geflohen. Eine Tante, die in der Bronx lebte, nahm ihn nur widerwillig auf. Nachts musste er arbeiten, um sich sein Psychologiestudium zu verdienen. Später ließ er sich in New York als Psychoanalytiker nieder und gründete eine „free clinic“ für Jugendliche, die auf der Straße lebten und meist drogenabhängig waren. So eilte er nach der Arbeit in seiner Praxis zur Klinik, die dann um elf Uhr abends ihre Türen schloss. Anschließend ging es mit Besprechungen und Übungen weiter, wobei er eines Tages bemerkte:
Je müder ich wurde, desto mehr trieb ich mich an. Als meine Frau versuchte, mich zur Besinnung zu bringen, reagierte ich verärgert. „Du meinst, ich sollte weniger tun? Mehr müsste ich tun. Es gibt tausende von diesen jungen Leuten, und sie haben keine andere Stelle, an die sie sich wenden können. […] Selbst wenn ich rund um die Uhr arbeitete – ich könnte nicht genug tun.
Freudenberger & Richelson 1980, S. 19
Mit der Zeit wurde Freudenberger immer reizbarer und beschuldigte andere, dass sie nicht besser vorankämen. Die Probleme und Kämpfe der Jugendlichen machte er zu den seinen. Dabei leugnete er, dass irgendetwas nicht in Ordnung sei. Der Zusammenbruch kam in den Weihnachtsferien, als er mit seiner Familie in den Urlaub fliegen wollte. Am Abend vor der Abreise konnte er seinen Koffer nicht mehr packen und fiel ins Bett. Am nächsten Morgen war er nicht mehr in der Lage aufzustehen. Er blieb einen Monat der Klinik fern und verbrachte die Zeit damit herauszufinden, weshalb er wie ein Verrückter gearbeitet hatte. Als Psychoanalytiker beschloss er, sich gleichsam selbst auf die Couch zu legen und seine Erfahrungen auf Tonband festzuhalten. Beim Abhören der Bänder wurden ihm einige biographische Hintergründe seines Engagements klar. Er erkannte,
dass es verschiedene Faktoren waren, die meine Erfahrungen in der Klinik sabotiert hatten: die bloße Anzahl der Jugendlichen, die ungenügenden technischen Einrichtungen, der Mangel an geschultem Personal, der Mangel an jeglicher Unterstützung durch die Öffentlichkeit. Einige der negativen Kräfte allerdings lagen in mir selbst begründet. Ich war – wohl infolge meiner früheren Erfahrungen – besonders empfänglich für die Probleme heimatloser Jugendlicher. […] und verspürte die Verwandtschaft ihrer traurigen Lage mit den Albträumen meiner Jugend in Deutschland.
In einem Artikel beschrieb er den Druck, unter dem auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter seines Klinikteams standen und wie der anfängliche Idealismus und die hohe Motivation der Freiwilligen in der Arbeit mit Drogenabhängigen innerhalb eines Jahres stark abnahmen:
Gerade weil wir engagiert sind, gehen wir in die Burnout-Falle. Wir arbeiten zu viel, zu lange und zu intensiv. Wir stehen unter dem inneren Druck zu arbeiten und zu helfen und wir fühlen einen äußeren Druck zu geben. Wenn ein Mitarbeiter dann auch noch den zusätzlichen Druck des Vorgesetzten empfindet, noch mehr zu geben, wird er von drei Seiten attackiert.
Freudenberger 1974, S. 161, zit. nach Rösing 2008, S. 35
Freudenberger fand das Phänomen aber ebenso bei Menschen in seiner Praxis:
[…] und dennoch sind sie im historischen Sinn des Wortes weder neurotisch noch psychotisch. Dass sie leiden, lässt sich nicht leugnen. […] Sie sind desillusioniert von Ehe und Karriere, müde, frustriert und gezwungen, mit steigendem Energieaufwand der Anstrengung gerecht zu werden, den einmal eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. […] mir [wurde] klar, dass sich hier ein Phänomen zeigte, das weniger mit traumatischen Erlebnissen aus der Kindheit als mit einem Unbehagen zu tun hatte, das neueren Ursprungs sein musste. Die meisten dieser Leute waren jahrelang in durchaus positivem Sinn mit ihrem Leben fertig geworden.
Freudenberger & Richelson 1980, S. 13-14
aus: Harrer (2013) Burnout und Achtsamkeit
Nachruf auf Herbert Freudenberger (New York Times 1999)